Hallo, hier spricht Jens Rübner!
Nie wieder trieb das Kino so wilde und bunte Blüten wie auf den Leinwänden der schummrigen Säle der Bahnhofskinos. Für geringen Eintritt boten diese später auch als „Schmuddeltempel" verschriene Kinos in einer Nonstop-Schleife Filme, die es anderswo so, nur sehr selten zu sehen gab.
Das Bahnhofskino ist ein Phänomen, das es eigentlich nur in der alten Bundesrepublik gab. Die Bahn errichtete nach dem Zweiten Weltkrieg an größeren Bahnhöfen eigene Kinos für die Reisenden. Bei ‚uns‘ nannte man diese Kinos Zeitkinos. Es existierten welche im Bahnhof Friedrichstraße Berlin; im Bahnhof Berlin –Alexanderplatz; im Hauptbahnhof Leipzig und im Hauptbahnhof Dresden.
Diese Website versucht eine unterhaltsame Reise in diese Terra incognita der deutschen Filmgeschichte zu unternehmen.
Anders, als in den Kinopalästen aus der Zeit davor, lief das Programm hier als Endlosschleife, von 8.00 Uhr morgens bis spät in die Nacht: Unabhängig vom Spielplan konnte jeder kommen und gehen, wann er wollte – ohne das Gefühl zu haben, etwas zu verpassen.
Zunächst flimmerte der DEFA-Augenzeuge - die Wochenschauen, Bildgeschichten und Infos von der Straße über die Leinwand, die sich an die ganze Familie richteten. Mitte der 50er Jahre, als nach und nach auch das Fernsehen in die Ostdeutschen Wohnzimmer Einzug hielt, wandelte sich das Programm. Die Bahnhofskinos zeigten nun Filme, die es anderswo so nicht gleich zu sehen gab. Hin und wieder auch Filme mit hohem Schauwert und niedrigem Budget…
Der Leipziger Hauptbahnhof besaß tief unter der Osthalle fast 42 Jahre lang einen außergewöhnlichen Anziehungspunkt: Aus einem zwischen 1913 und 1915 gebauten Tunnelstumpf zwischen den ehemaligen Gleisen 22 und 23, die als Vorleistung für die Verbindung zum Bayerischen Bahnhof unter dem Bahnsteig 22/23 gebaut und während des Zweiten Weltkrieges als Luftschutzraum genutzt worden waren. Das Kino wurde Ende 1992 wegen baulichen Mängeln geschlossen.
Von 1990 - 1992 hieß es nicht mehr Zeitkino sondern Linie 2 - Kino im Hauptbahnhof. Das Kino verfügte über 204 Sitzplätze und brachte zwischen 10 und 18.30 Uhr einen 70 Minuten dauernden Kurzfilmzyklus sowie zwei Spielfilme.
Die älteren Leipziger erinnern sich gern an dieses Lichtspieltheater im Hauptbahnhof. Mit seinen nicht nummerierten Plätzen war es ein Lieblingsort für junge Leute, die auf der hintersten Reihe mit klopfendem Herzen neben der oder dem Angebeteten saßen…
Dem Leipziger Etablissement wurde in dem Buch Zeitkino - letzte Reihe ein kleines literarisches Denkmal gesetzt. Die Titelgeschichte dreht sich um "Lust und Last vor Leipziger Leinwänden" - denn auch im Zeitkino konnte man der Dame des Herzens "auf die Pelle rücken". Das Kino und vor allem seine letzte Reihe galt unter Kennern als ganz besonders kuschelig...